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AutorenbildMarc Oliver Rühle

dpa-Bericht: Suche nach dem «Soundtrack der Heimat»

Mit «Allein, Allein» landete der frühere Polarkreis-Frontmann einen Hit. Für sein neues Projekt sucht Felix Räuber nun den Klang seiner sächsischen Heimat - und genießt dabei zuweilen auch die Stille.


Von Miriam Schönbach, dpa

Hainewalde (dpa/sn) – Der Regen prasselt auf die Bäume im Roschertal, das Flusswasser der Mandau rauscht durch die Landschaft bei Hainewalde im Landkreis Görlitz. Die Wege sind schmal und aufgeweicht. Jeder Schritt schmatzt. Felix Räuber schlängelt sich durch das Frühlingsgrün. Kamera und Regisseur warten in der Nähe. Mit seinem aktuellen Musik- und Filmprojekt begibt sich der Musiker, Komponist und einstige Frontmann der Band Polarkreis 18 («Allein, Allein») auf eine akustische Spurensuche und geht der Frage nach: «Wie klingt Heimat»?


Das Zittauer Gebirge stimmt an diesem Morgen eine Symphonie aus brausender Mandau, knarzenden Ästen und Vogelgezwitscher an. Im Mittelpunkt dieser Folge der zehnteiligen Expedition durch Sachsen, in der Räuber die Klang- und Lebenswelten seiner Heimat erforscht, steht die Natur. Die Drehorte sind: Flussaue, Teich, Streuobstwiese, Sächsische Schweiz und das Roschertal. Die ersten Filmaufnahmen an diesem Drehtag sind bereits in der Morgendämmerung auf der Hochwaldbaude bei Oybin im Zittauer Gebirge entstanden. «Wir verpflanzen heute Felix aus der Stadt in die Natur», sagt Autor und Freund Marc Oliver Rühle.

Regisseur Markus Weinberg und sein Drehteam sind vorausgelaufen, um Räubers heutige Begleiter zu treffen. Der Musiker sucht sich für seine Stationen jeweils Klang-Experten, mit denen er nicht nur über Melodien, Wünsche und Traditionen spricht, sondern auch zusammen Musik macht und aufnimmt. Deshalb steckt immer das Aufnahmegerät im Rucksack des 36-jährigen gebürtigen Dresdeners. Zu Ostern hat er die Choräle der sorbischen Osterreiter festgehalten. Im Roschertal ist er nun mit Marcel Frehse und Heiko Fehrmann verabredet.


Die beiden 41-Jährigen haben Fernglas, Kamera und auch Aufnahmegeräte dabei und wirken auf den ersten Blick wie Wanderer. Doch ihre Naturleidenschaft mixen der Heilerziehungspfleger und der Web-Administrator mit einem ungewöhnlichen Hobby: Mit ihrem Recorder zeichnen sie Geräusche aus Wald und Gebirge auf, verarbeiten sie am Computer zu Elektro-Beats. Unter dem Label «Forest Roots» verkaufen sie ihre Veröffentlichungen. «Für uns klingt die Oberlausitz magisch. Es ist eine mystische Stimmung, die wir woanders nicht wahrnehmen. Auf unseren Wanderungen lassen wir uns treiben», sagt Frehse.


Räuber und seine Begleiter kommen ins Gespräch. «Andere gehen in die Disco. Wir stellen uns unter Fichten und lauschen dem Wind. Das ist unser Berg-Hain», sagt Fehrmann und spielt auf Berlins legendären Technoclub an. Die Beats unter dem Dach des grünen Doms macht hier der Specht. Das Arrangement liefert der Wind. Rühle freut sich über diesen Moment. Die Idee zum Heimat-Projekt entstand im Flugzeug auf dem Rückweg aus Nordkorea. «In uns klangen noch die Propagandalieder nach, mit denen man dauerbeschallt wird. Wir sind schon früh mit Marschsounds aufgewacht», erinnert sich der Autor, der seit dem Gymnasium die Schulbank mit Räuber gedrückt hat.

Auf der Reise über den Wolken fragten sich Räuber und Rühle, welcher Soundtrack ihr Heimatland Sachsen bestimmt - und fanden auf Anhieb keine Antwort. So beginnt die Vor-Recherche. Im Konzept für die Film- und Ton-Dokumentation findet sich schließlich die Idee, Sachsen in zehn Kulturkreise einzuteilen. Neben Zittauer Gebirge, Sächsischer Schweiz und den Traditionen der Sorben will Räuber mit Mikro, Aufnahmegerät und Kamera auch Braunkohlebagger, Handwerker im vogtländischen Musikerwinkel und Migranten besuchen. «Wir wollen den politisch aufgeladenen Heimatbegriff selbst aktiv neu besetzen. Wir fassen den Heimatbegriff weiter, um eine Vielfalt zu zeigen und die Menschen wieder zusammenzubringen», sagt Rühle.


Neben den Elektro-Musikern von «Forest Roots» wird Räuber an diesem Dreh-Wochenende die Pfadfindergruppe «Goldener Reiter» und die «Bergfinken» - Deutschlands ältester Bergsteigerchor - treffen. Neben der zehnteiligen Dokumentation entsteht parallel eine eigene Komposition – und ein Album mit zehn neuen Liedern. Eine Symphonie sächsischer Kulturen. Auch über einen akustischen Reiseführer denkt Räuber nach. Im Februar 2022 soll alles abgedreht sein. Denkbar ist, dass die Premiere des akustischen Projekts im Juni 2022 bei den Dresdner Musikfestspielen gefeiert wird.

Gefördert wird das Projekt durch das sächsische Tourismusministerium. «Die Film- und Musikproduktion stellt den Begriff "Heimat" von einer neuen Seite dar und beleuchtet ihn im Hinblick auf die vielfältige Kulturlandschaft im Freistaat», sagt Ministerin Barbara Klepsch.

Es geht tiefer in den Wald. Die drei Musiker wollen eine Feldaufnahme aus verschiedenen Positionen aufnehmen – für einen besonderen Effekt beim Komponieren. «In der Natur habe ich das Gefühl, mich erden zu können», sagt Räuber. Für ihn ist die Dokumentation eine Suche nach der eigenen Heimat. «Ich werde immer gefragt, was meine Heimat ist, was meine Definition von Heimat ist – und klar: Ich sage, die Musik ist für mich eine Art Heimatort, ein Sandkasten, wo ich mich einwühlen und den Alltag vergessen kann – seit 20 Jahren. Aber diese Heimreise mit dieser Doku hat auch damit zu tun, dass ich die Heimat noch nicht gefunden habe.»


Vogelgezwitscher, die Mandau rauscht, Äste knacken. «3,2,1», zählt Frehse. Alle drei Protagonisten laufen los, während sie die Geräusche der Umgebung aufnehmen. Die Kamera läuft. Dann ist Drehschluss für den Moment. Die Produktion muss umziehen nach Schlegel ins Studio von «Forest Roots». Dort geht die Arbeit weiter – am «Soundtrack der Heimat».

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